Guided Surgery und die Vorurteile - eine Bestandsaufnahme
Dr. Dr. Rainer Fangmann, M.Sc., ZTM Fabian Zinser
Veröffentlicht 03/2016 im Digital Dental Magazin unter dem Titel
"Guided Surgery und die Vorurteile - eine Bestandsaufnahme"
Einleitung zur Guided Surgery
Der Einsatz von Guided Surgery gewinnt sowohl aus forensischer als auch aus implantatprothetischer Sicht immer mehr an Bedeutung.¹ Dem gesteigerten ästhetischen Bewusstsein und Anspruch der Patienten ist es geschuldet, dass Implantate nicht mehr nur unter funktionellen Gesichtspunkten betrachtet werden. Somit rücken die unterschiedlichen Systeme zur schablonengeführten Implantation in den Fokus. Die Genauigkeit der verschiedenen Systeme wurde hinlänglich beschrieben.² Laut Orentlicher und Abboud sind die Gegenargumente auf drei Hauptgründe zu reduzieren: Zeit, Geld und Angst.³ Seit kurzem bietet Argon Medical dem implantologischen Team mit K3Pro Rapid Surgery eine weitere Möglichkeit, Patienten sicher mit Implantaten zu versorgen. Bei K3Pro Rapid Surgery handelt es sich um ein vollständig schablonengeführtes Bohrprotokoll welches ein breites Spektrum an Implantatlängen (5,5 – 17 mm) und Durchmessern (3,0 – 6,0 mm) abdeckt. Zudem besticht es durch eine rationale und sichere Arbeitsweise mit vergleichsweise niedrigen Kosten. Das K3Pro-Implantat im Durchmesser 3,0 mit selbstschneidendem Gewinde-Design und konischem Implantatkörper gehört zu den durchmesserreduzierten Implantaten. Für diese wird „in der Regel eine hohe Überlebensrate (> 90 Prozent)“ ⁴ angegeben, ⁶, ⁷, ⁸ wobei längere Implantate (≥ 13 mm) eine größere Erfolgsquote haben als kürzere. Längere Implantate können durch die Neigung der Insertionsachse Verwendung finden. Damit vergrößert sich die Kontaktfläche zwischen Knochen und Implantat und infolgedessen die Primärstabilität.¹⁰ Die Implantatachsenangulation unter Verwendung großer Implantatlängen in Kombination mit Durchmesserreduktion und Guided Surgery ist am Implantatmarkt eine Rarität, die vielfach bei Patienten mit einer Knochenatrophie der Kieferkammbreite eine Alternative zur Knochenaugmentation darstellt.
Patientenanamnese und -wünsche:
Der vorliegende Fall zeigt eine 57-jährige berufstätige Patientin in gutem Allgemeinzustand bei einem Nikotinabusus bis 17 Zigaretten täglich mit suffizienter totalprothetischer Oberkieferversorgung. Im Unterkiefer bestand seit 14 Jahren eine Teleskoparbeit auf den Zähnen 32, 31 und 41. Die Zähne im dritten Quadranten waren wurzelkanalbehandelt. Die Patientin war mit ihrer prothetischen Rehabilitation sehr zufrieden bis es spontan zu einer Ermüdungsfraktur der vorhandenen teleskopierenden Frontzähne kam. Die Patientin wollte eine ihrer ehemaligen Versorgung vergleichbare neue Unterkieferversorgung erhalten. Die reine schleimhautgetragene Prothese in Form einer klassischen Prothese kam für die Patientin aufgrund der zwischenzeitlichen Erfahrungen nicht infrage. Deshalb wurde die Rehabilitation des Unterkiefers mit einer implantatgetragenen herausnehmbaren Versorgung auf einer CAD/CAM- Stegkonstruktion mit Preci-Vertix und Preci-Horix Haltestrukturen angeraten.
Implantatplanung
Wie bei jedem schablonengeführten Implantatssystem sind auch bei K3pro Rapid Surgery ein DVT oder CT sowie etwaige Vorarbeiten unerlässlich. Im vorliegenden Fall wurde der vorhandene Unterkieferzahnersatz chairside mit Silikon doubliert, im Labor erfolgte die Umsetzung in eine radioopake Scanschablone. Mithilfe eines 3D-Scanners digitalisierte der Zahntechniker die Scanschablone sowohl von okklusal als auch von basal. Die so gewonnenen STL-Datensätze konnten im Anschluss zu einem Datensatz verschmolzen werden, sodass ein komplettes 3D-Modell der Scanschablone vorlag. Dieses Modell stellte zugleich den Ausgangspunkt für den STL-Datensatz der Gingivatopografie dar. Nach dem Transport der Scanschablone wurde vom Chirurgen ein DVT angefertigt und die so gewonnenen DICOM-Daten in die CoDiagnostiX Software eingelesen. Es erfolgte eine chirurgische Vorabplanung mit vier interforaminär gesetzten K3pro Rapid Implantaten. Alle Implantate hatten mit 3,5 mm sowohl denselben Durchmesser als auch mit 13 mm dieselbe Länge. Zur Vergrößerung des prothetischen Polygons wurden die Implantate in regio 35 und 45 um 30° nach distal anguliert. Mittels der von CoDiagnostiX zur Verfügung gestellten Onlineplattform caseXchange erfolgte die Übermittlung der chirurgischen Vorabplanung an den Zahntechniker. Dieser matchte die zuvor digitalisierte Scanschablone nebst Gingivatopografie (Abb.: 1 und 2). Der so gewonnene und von Artefakten bereinigte Planungsdatensatz konnte nun aus implantatprothetischer Sicht verifiziert werden. Auf die vom Chirurgen positionierten Implantate setzte der Zahntechniker virtuelle Abutments (Abb.: 3).
Zum Zeitpunkt der Planung lagen noch keine realistischen Abutments der Firma Argon Medical als STL-Datensätze vor. Somit behalf sich der Zahntechniker mit benutzerdefinierten Sekundärteilen, die in puncto Gingivahöhe und Angulation den original Rapid Fix Abutments entsprachen – denn nach Autorensicht können nur durch die Planung mit realistischen Abutments unter Einbeziehung der prothetischen Endversorgung vorhersagbare Ergebnisse garantiert werden. Ebenso erfolgte die Positionierung der Bohrhülsen bereits in diesem Schritt. Hier bietet das Rapid Surgery System eine komfortable Besonderheit: Mit einer Hülsenhöhe von nur 4 mm und einem komfortablen Abstand zur Gingiva von 7 mm lassen sich im Gegensatz zu anderen Systemen mit weniger Abstand zur Gingiva nahezu alle Fälle vollständig navigiert operieren. Dieses spezielle Hülsen- und Bohrerdesign ermöglicht dem Chirurgen rationaleres Arbeiten bei gesteigerter Sicherheit. Abschließend sollte eine Besprechung der finalisierten Planung im Team, bestehend aus Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg, prothetisch tätigem Zahnarzt und Zahntechniker erfolgen, die in Fachartikeln stets propagiert wird, aber in der täglichen Praxis zu wenig Realisierung erfährt. Danach erfolgte die Produktion der vollständig geführten Bohrschablone im 3D-Druck.
Zahn- und implantatchirurgische Behandlung:
In Allgemeinanästhesie erfolgte zunächst die zusätzliche Gabe eines typischen Infiltrationsanästhetikums. Intravenös wurde unmittelbar präoperativ das Antibiotikum11 Clindamycin 600 mg gegeben. Die Abbildung 4 zeigt die klinische Ausgangssituation. Nach der vorsichtigen Entfernung der Wurzelreste der Zähne 32 bis 41 (Abb.: 5) wurde die 3D-gedruckte Bohrschablone mittels zwei Osteosyntheseschrauben fixiert (Abb.: 6). In Position 032 und 042 wurden jeweils K3pro Rapid-Implantate der Länge 13 mm (Durchmesser 3,5 mm) inseriert. Im nächsten Schritt wurden die angulierten Implantate mit gleicher Länge und Durchmesser inseriert. Zum Einsatz kamen eine Abfolge von Gingivastanze (Abb.: 7), Pilotbohrer, Kortikalfräse (Abb.: 8), Implantat-Finalbohrer (Abb.: 9 bis 12), Gewindeschneider (Abb.: 13) und der spezifische Inplantateinbringer (Abb.: 14 und 15), die perfekt aufeinander abgestimmt sind. Auch wurde bei dem K3pro Rapid Surgery-System der schwierigen Wasserkühlung bei Implantatbettbohrungen Rechnung getragen, da das System in kleinsten Schritten die Implantatbettaufbereitung gewährleistet. (Abb.: 16) In den Positionen 032 (Abb.: 17 und 18) und 042 wurden RapidFix Aufbauten 0°, Gingivahöhe 3,5 mm eingebracht. In den Positionen 035 und 045 (Abb.:19) kamen RapidFix Aufbauten 30°, Gingivahöhe 3,5 mm zur Anwendung. Das Drehmoment für sämtliche RapidFix Aufbauten betrug 30 N/cm (Abb.:20 und 21). Anschließend wurden die leeren Alveolen und Knochendefekte mit dem gewonnenen autologen partikulären Material aufgefüllt und der typische Naht-Wund-Verschluss mit Einzelknopfnähten (Abb.: 22) eines nicht resorbierbaren Nahtmaterials (RESORBA Medical GmbH) erfolgte. Nachdem die Patientin aus der Vollnarkose erwacht war, wurde der Interimszahnersatz bestehend aus der vorhandenen Prothese, die basalseits ausgeschliffen und mittels weichbleibendem, kalthärtendem Unterfütterungsmaterial auf Silikonbasis in einem Paste-Paste-Kartuschensystem (VOCO Ufi Gel SC) unterfüttert wurde, eingegliedert und in Okklusion gebracht. Abschließend erfolgte die radiologische Kontrolluntersuchung (Abb.: 23).
Schlussfolgerung zur Guided Surgery:
In der heutigen Zeit erwarten Patienten einen festsitzenden und funktionellen Zahnersatz. Die Umsetzung soll zügig, mit überschaubaren Kosten und wenigen belastenden Eingriffen, möglichst bei vollständiger permanenter Gesellschaftsfähigkeit erfolgen. Nach der Konsensuskonferenz Implantologie sind in der Klasse III der Indikationsklassen für Implantatversorgung zur Regelversorgung für die Verankerung eines herausnehmbaren Zahnersatzes vier Implantate vorgesehen. Die Anwendung angulierter Implantate ist ein Verfahren, das seine klinische Anwendbarkeit und Praxistauglichkeit bereits seit 6,5 Jahren basierend auf verschiedenen Implantatsystemen gezeigt hat.²² Die heute möglichen digitalen Arbeitsabläufe vom DVT über die 3D-Planungsoftware, den knochen- oder schleimhautgetragenen Übertragungsschablonen und ihren in diesem Zusammenhang möglichen zahntechnischen Leistungen, bieten den Patienten die vollständige Rehabilitation mit nur einem präoperativen Behandlungstermin – nämlich der DVT-Aufnahme und dem intraoralen Abdruck – und dem operativen Behandlungstermin. Die Vorteile dieses digitalen Workflows liegen darin, dass limitierende anatomische Strukturen erkannt werden können und damit Läsionen reduziert werden. Zudem kann das gesamte verbleibende Knochenvolumen bestimmt werden, wodurch es möglich wird, die für die spätere prothetische Rekonstruktion vorteilhafteste und günstigste Implantatposition dreidimensional zu finden. Es verkürzen sich die Operationsinvasivität und -zeit in der Hand des Operateurs sowie der Zeitaufwand für die prothetische Versorgung deutlich, wenn „der implantierende […] und der prothetische Behandler […] eine angemessene Ausbildung erhalten haben.“⁵ Die resultierenden Vorteile von K3pro Rapid Guided Surgery sind vielfältig und entsprechend hilft dieses System dabei, die existierenden Vorurteile gegenüber der navigierten Chirurgie abzubauen. Mit Rapid Guided Surgery ist ein einzeitiges operatives Vorgehen ggfs. in Allgemeinanästhesie möglich. Gleichzeitig ergibt sich durch die digitale Planung eine gute Vorhersagbarkeit des Ergebnisses. Zusammengefasst zeichnet sich dieses chirurgische Protokoll durch eine hohe Wirtschaftlichkeit bei guter Voraussagbarkeit aus.
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